Moritz Hartmann

Die Körper des Kinos. Zuschauer_innen als Cyborgs

Cyborgs sind Hybride aus Mensch und Maschine. In den 80er Jahren hat Donna Haraway diese Figur mit ihrem Cyborg-Manifest zu Berühmtheit verholfen und seitdem sind diese Wesen eine beliebte Identifikationsfigur in der Science-Fiction. Doch Haraways eigentliches Anliegen war es, ein epistemologisches Werkzeug zu entwickeln, mit dem starre Grenzziehungen zwischen Mensch und Maschine aufgehoben werden können.

Ich möchte Haraways Konzept aus dem Cyborg-Manifest verwenden, um abstrakte Grenzziehungen in der Filmtheorie zu dekonstruieren. Ich möchte dies am Kino-Dispositiv vornehmen: Die verschiedenen Komponenten des Dispositivs, bestehend aus Zuschauer_innen, Leinwand und Projektionsapparat, werden meist getrennt voneinander betrachtet, doch eigentlich braucht es für die Illusionsbildung im Kinosaal ein Zusammenspiel der verschiedenen Elemente. In Bezug auf Haraway möchte ich die These aufstellen, dass die Kinozuschauer_innen für die Dauer der Filmvorführung zu Cyborgs werden, da sich die apparativen und gegenständlichen Elemente des Kinosaals mit den organischen der menschlichen Körper vermischen müssen, damit die Illusionsbildung gelingen kann.

Für meinen Vortrag werde ich zwei Filmtheoretikerinnen heranziehen. Während Vivian Sobchack argumentiert, dass phänomenologische Erfahrung im Kino dem Zusammenspiel von Leinwandgeschehen und Zuschauer_innenkörper entspringt, erklärt sich Christiane Voss die Entstehung eines scheinbar dreidimensionalen Bildes durch die sensorisch-affektive Resonanz der Zuschauer_innenkörper auf das Leinwandgeschehen.

Während bei Sobchack und Voss lediglich von einem Zusammenspiel von Leinwand und Zuschauer_innenkörper die Rede ist, möchte ich auch den technischen Apparat des Filmprojektors hinzunehmen. Erst durch das Zusammenwirken dieser drei Körper – Leinwand, Projektor, Zuschauer_innenkörper – kann es zu der besonderen Kinoerfahrung kommen. Die Verwandlung der Zuschauer_innen in Cyborgs, in denen Technik und Organismus miteinander verschränkt sind, ist Voraussetzung dafür.


Moritz Hartmann 

Moritz Hartmann studierte Medien- und Kommunikationswissenschaft in Weimar und Lyon und hinterfragte in seiner Abschlussarbeit die Grenze zwischen Theater und Film. Zwischenzeitlich unternahm er kurze Ausflüge ans Thalia Theater Hamburg und ans Maillon – Theater der Stadt Straßburg und war für verschiedene Film- und Theaterfestivals in Deutschland und Frankreich tätig. Außerdem ist er Kolumnist für die Radiosendung „The Other Side – das Pop-Feuilleton“ auf detektor.fm. Seit einem Jahr studiert er Theater-, Film- und Medientheorie am tfm | Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien.

Kontakt: moritzhartmann1@gmail.com