Sophie Liepold

Archiv zweiter Ordnung? Heimrad Bäckers nachschrift

Die beiden Bände der nachschrift (1986 und 1997) des österreichischen Autors und Verlegers Heimrad Bäcker zitieren und montieren Schriftstücke des Nazi-Terrors, der juristischen und historiographischen Aufarbeitung sowie Texte von Opfern und Überlebenden. Als Archiv zweiter Ordnung im Medium der Literatur speichern sie Wissen, das durch ein dreifaches Verweissystem (Zitat, Kürzel, Literaturangabe) einen Raum öffnet, der durch die Ordnung und die Reihenfolge der Zitate konfiguriert ist. Die nachschrift ist dabei nicht nur Abbildung einer bürokratischen, totalitären Herrschaft und literarische Dokumentation des „Verwaltungsmassenmordes“ (Hannah Arendt), sondern legt mittels Verfahren der konkreten Poesie konkrete Formen des bürokratischen Machtapparates frei. Ihre eigentümliche „écriture“ (Roland Barthes) ergibt sich durch die Kombination von Dokumentation, Konkretion und Reproduktion durch Zitat und Montage. Mittels Beschreibung paradigmatischer Textstellen steht diese spezifische literarische Praxis im Fokus. Einen weiteren Teil der Textgenese zeigen die drei Registerhefte aus dem Nachlass Bäckers: das Sprachmaterial ordnend, stellen sie ein Regelwerk dar, das eine wichtige Rolle bei der Selektion der Quellen und der Transformation der Dokumente in Literatur spielt. Das „System nachschrift“ (Heimrad Bäcker) wird durch die von den Registerheften ausgelegten Schreibspuren hypertext-artig miteinander verknüpft; Zusammenhänge zwischen den Quellentexten, der nachschrift und ihren Vor-Texten finden sich außerdem in seriellen Formen wie Listen. Die Ubiquität und Familienähnlichkeit bürokratischer „Aufschreibesysteme“ (Friedrich Kittler), die in der nachschrift befragt werden, ergibt sich aus der Kombination der Texte unterschiedlicher Perspektive, denen Bäcker als „schreiber“ begegnet. Diese Aspekte habe ich in meiner Masterarbeit unter textgenetischer Perspektive untersucht.

Sophie Liepold, MA.

Studium der Deutschen Philologie an der Universität Wien und der Humboldt-Universität zu Berlin.

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sophie.liepold@univie.ac.at