Markus Kretzler und Hendrik Schramm

Does Identity Matter?
Visueller Protest der Black Lives Matter-Bewegung auf Twitter

Mit der sich um den gleichnamigen Hashtag sammelnden Bewegung #BlackLivesMatter hat sich in den Jahren 2014 und 2015 die größte antirassistische Protestbewegung seit dem Civil Rights Movement gebildet. Konträr zum historischen Vorbild ist diese von einer zwar intensiven, jedoch nur kurzfristigen Partizipation geprägt, bei der sich „neue“ und konventionelle Protestformen vermischen. Dieser Kurzlebigkeit und Volatilität trägt das Konzeptes der Konnektiven Bewegung (Bennett & Segerberg 2012, 2013) Rechnung, das zur Berücksichtigung weiterer gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen modifiziert und weiterentwickelt wurde. Offen bleibt, welche Rolle Identitäten weiterhin für solche Bewegungen spielen und wie sich diese formen. Ein stärkeres Augenmerk verdienen dabei visuelle Elemente. Diese eignen sich besonders, um ein gemeinsames Narrativ zu entwickeln, das von den Protestpartizipierenden adaptiert und fortgeschrieben wird. Dadurch kann eine gemeinsame, teils implizite Identitätskonstruktion erfolgen, deren Kern sich in den wiederkehrenden Mustern der visuellen Elemente zeigt.

Mittels der quantitativen Bildtypenanalyse werden diese dominanten visuellen Kommunikationsmuster quantitativ herausgearbeitet und anschließend qualitativ bewertet. Jeweils mit dem Todestag eines Schwarzen Gewaltopfers beginnend, wurden dazu für zwei 15-tägige Zeiträume alle visuellen Elemente erhoben, die auf Twitter – der zentralen Plattform der Bewegung – gepostet wurden. Diese 673 bzw. 5.326 Elemente spiegeln jeweils unterschiedliche, aufeinander folgende Protestphasen und ermöglichen somit Aussagen über die Entwicklung einer konnektiven Identität der Bewegung. Die identifizierten Bildtypen und untergeordneten -motive offenbaren, dass der Ausdruck der Protestintentionen in beiden Zeiträumen ein zentrales Motiv darstellt. Der Hashtag #BlackLivesMatter selbst dient als offenes Narrativ, dass die Protestpartizipierenden durch visuelle Elemente inhaltlich anreichern, um dem eigenen Protesthandeln eine Bedeutung zu verleihen.

Markus Kretzler und Hendrik Schramm 

Name: Markus Kretzler, B.A.
Mailadresse: markus.kretzler@hhu.de | markuk@student.sv.uio.no

Studienrichtung: Politische Kommunikation 
(Kommunikations- und Politikwissenschaften)
Universität: University of Oslo (zum Vortragszeitpunkt)
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (2016-heute)
Universität Augsburg (2012-2016)

Forschungsinteressen: Rezeptions- und Wirkungsforschung, Medienpsychologie, Politische Soziologie, Methoden der empirischen Sozialforschung/Mixed Methodology , Visuelle Kommunikation

Berufserfahrung: Erfahrungen in Wissenschaft, Politik und Beratungsbranche

Name: Hendrik Schramm, B.A.
Mailadresse: hendrik.schramm@hhu.de

Studienrichtung: Politische Kommunikation
(Kommunikations- und Politikwissenschaften)

Universität: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (2016-heute)
Eberhard Karls Universität Tübingen (2012-2016)

Forschungsinteressen: Aspekte der Interessensrepräsentation und -artikulation in Demokratien, Rezeptions- und Wirkungsforschung, Politische Theorie, Visuelle Kommunikation

Berufserfahrung: Strategische Kommunikationsberatung, kfm. Berufsausbildung

Simon Rettenmaier

Immanente Kritik und Propaganda im Zeichen wissenschaftlicher Erkenntnis.

 

Eine Reflexion möglicher Widerstandspolitiken anhand der wissenschaftshistorischen und bildungsphilosophischen Überlegungen von Paul Feyerabend und Bertrand Russel.

Begreift man Wissenschaft systematisch mit Thomas Kuhn, dann bewegt sich der wissenschaftliche und universitäre Alltag auf gemeinsamen Grundannahmen, auf welchen aufbauend Forschung betrieben wird. Erkenntnisse, die gemeinhin als ‚revolutionär‘ bezeichnet werden, brechen jedoch aus diesen Paradigmata aus. In der Folge dieser Überlegung machte Kuhn bei solch revolutionären Entdeckungen Paradigmenwechsel aus (Vgl. Kuhn 2014). Diese Paradigmata einen auch die institutionellen Forschungsinstitutionen, welche sich heute beispielsweise durch Peer-Review Verfahren organisieren. Das Etablieren und Bekanntmachen innovativer Ideen – verstanden als neue Ideen, welche jedoch ihre Regeln von den geltenden Paradigmata ableiten – wird so bereits zur Herausforderung, die Durchlässigkeit ist hier gegeben, jedoch bereits anspruchsvoll (Vgl. Heinze et al. 2009).

Schwieriger wird es, wenn neue Überlegungen den Paradigmata der Normalwissenschaft widersprechen, wenn sie revolutionär im Sinne Kuhns sind. Eine mögliche Methode des Widersprechens ist, mit Paul Feyerabend gedacht, die der immanenten Kritik als Teil wissenschaftlicher Propaganda (Vgl. Feyerabend 2013). Diese Methodik findet man zu Teilen auch bei Albert Einstein wieder (Vgl. Bergia 1985). Propaganda zu Gunsten revolutionärer Gedankengänge erscheint somit durchaus probat und ist Bertrand Russel folgend die Methodik derjenigen, die in der Gegenwart oftmals auf Ablehnung stoßen, retrospektiv jedoch große Anerkennung finden (Vgl. Russell 1974). Dem zugrunde liegt ein plurales Erkenntnisverständnis und die Feyerabendsche Grundformel ‚Anything goes‘. Zu diskutieren gilt es nun, wie der Propagandabegriff von Feyerabend konkret zu fassen ist.

 

Bergia, Silvio (1985): Einstein und die Geburt der speziellen Relativität, in: Albert Einstein – Wirkung und Nachwirkung, Vieweg+Teubner Verlag: Wiesbaden.

Feyerabend, Paul Karl (2013): Wider den Methodenzwang, Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main.

Heinze, Thomas/Shapira, Philip/Rogers, Juan/Senker, Jacqueline (2009): Organizational and institutional influences on creativity in scientific research, in: Research Policy 38, 610-623.

Kuhn, Thomas S. (2014): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main.

Russell, Bertrand (1974): Erziehung ohne Dogma, Nymphenburger Verlagshandlung: München.

 

Simon Rettenmaier

Simon Rettenmaier studierte an der Universität Kassel Philosophie und Politikwissenschaft. Heute arbeitet er als Sozialpädagoge in der Erwachsenenbildung sowie als Lehrbeauftragter am Institut für Philosophie der Universität Kassel, wo er auch zum Thema Bildungsphilosophie und Wissenschaftstheorie promoviert.

Kontakt: simon.rettenmaier@gmail.com

Frauke Schacht

„Zum Flüchtling wurde ich erst in Europa“
Eine re- und dekonstruktive Analyse der Flüchtlingskategorie

Den Ausgangspunkt der qualitativen Studie bildet der gegenwärtige öffentliche, mediale und politische Diskurs über globale Flucht- und Migrationsphänomene in Europa. Innerhalb dieses narrativen Machtraumes der Fremdpositionierung wird der Flüchtling als soziales sowie politisch-rechtliches Gebilde erst hervorgebracht und dabei als Täter oder Opfer stigmatisiert. Die Perspektiven und Erzählungen geflüchteter Menschen selbst werden im Zuge dieser Meta-Erzählungen weitgehend unsichtbar gemacht. Dieser konventionellen Betrachtungshaltung entgegen plädiert das Forschungsprojekt für eine alternative – kontrapunktische (Edward Said 1994) – Perspektive, die die komplexen Erfahrungsräume und (Über-)Lebensstrategien geflüchteter Menschen zum Ausgangspunkt nimmt. Ziel ist es, das dichotome Konstrukt der Flüchtlingsfigur (Täter/Opfer) aufzubrechen und eine akteursbezogene Perspektive einzuführen, die spezifischen Lebenswirklichkeiten, Handlungsstrategien und Verortungspraxen geflüchteter Menschen ins Zentrum rückt. Hierfür wurden bereits 8 teilbiographische Interviews geführt, die einen ersten Einblick in eben jene Strategien ermöglichen.
Folglich basiert das Dissertationsvorhaben auf einem doppelten strategischen Vorgehen, das einerseits gesellschaftliche Konstruktionsprozesse der Flüchtlingskategorie dekonstruiert, indem das dahinter stehende Rezeptwissen und etablierte Machtverhältnisse offengelegt werden. Dieses wird unteranderem durch den Einbezug postkolonialer Theorien und diskursanalytischer Überlegungen möglich. Zum anderen werden im Sinne einer kontrapunktischen Leseart, die marginalisierten Stimmen und Erfahrungen geflüchteter Menschen selbst sichtbar gemacht und privilegiert. Dadurch ist es möglich, das Feld der Migration und Flucht radikal neu zu denken und als eine gesellschaftsbewegende und gesellschaftsbildende Kraft zu verstehen.

PhD Erziehungs-und Bildungswissenschaften – Betreuer: Prof. Dr. Erol Yildiz

Forschungsinteressen: kritische Fluchtforschung, Europäisches Grenzregime, Postkoloniale Theorien

Berufserfahrung: Seit 2014 Obfrau des Vereines FLUCHTpunkt (Hilfe-Intervention-Beratung für Flüchtlinge)

Dominik Ivancic

Three Fingered Jack. Widerstand von Versklavten auf Jamaika und seine literarische Rezeption

Am 27. Jänner 1781 wurde Three Fingered Jack, ein ehemaliger Versklavter, der von den Kolonialbehörden gesucht wurde, von Maroons – Nachfahren von im 17. und frühen 18. Jahrhundert geflohenen Versklavten, die autonome Gemeinschaften bildeten – ermordet. Wir wissen fast nichts über ihn. Wir wissen nur, dass er in jamaikanischen Zeitungsberichten erwähnt wurde und seine Lebensgeschichte von Generationen an Literaturschaffenden in Großbritannien für Stücke und Romane verwendet und ausgeschmückt wurde. Der Vortrag soll kurz das System der Sklaverei und den Maroon-Widerstand dagegen erklären und schließlich den speziellen Fall Three Fingered Jack und seine literarische Rezeption ausführlich analysieren. Es wird untersucht, wie seine Lebensgeschichte literarisch adaptiert wurde und wie Autoren versuchten, Jack politisch zu vereinnahmen. Manche sahen ihn als einen tragischen Märtyrer und Helden, andere als einen Kriminellen, der die Harmonie des Plantagensystems zerstörte. Dabei werden postkoloniale und globalgeschichtliche Theorien herangezogen – Maroons und Jack werden im Vortrag als Subalterne, im Sinne der subalternen Theorie von Gayatri Chakravorty Spivak verstanden. Es wird untersucht, wie Widerstand im kolonialen Raum möglich war und wie (widersprüchlich) sich dieser Widerstand im Handeln von großen Gruppen wie den Maroons und kleineren Gruppierungen wie Jack und seinen „Outlaws“ geäußert hat. Der Vortrag zeichnet sich durch eine literarturwissenschaftlich-historische Herangehensweise aus. Jacks Geschichte und seine Interpretationen zeigen uns, wie vernetzt die atlantische Welt des 18. und 19. Jahrhunderts war – nicht nur Menschen und Güter wurden über den Ozean transportiert, sondern auch Geschichten und Legenden konnten sich verbreiten.

Dominik Ivancic

Mail:
dominik.ivancic@gmx.at

derzeitige Studienrichtungen:
MA Geschichte, BA Sprachkunst

abgeschlossene Studienrichtungen:
BA Geschichte, BA Vergleichende Literaturwissenschaft

Forschungsinteressen:
Kolonialgeschichte, Französische Revolution, Erster Weltkrieg, Zwischenkriegszeit

Berufserfahrung:
Recherchepraktikum bei Composite Films in Paris

Michael Feichtinger

Widerstände des Realen. 
Potentiale der Object-Oriented Ontology im postkolonialen Diskurs

In den Geistes- und Kulturwissenschaften gibt es seit einigen Jahren eine Tendenz wieder über das Denken hinaus zu gehen und sich in das gewissermaßen seit Kant dunkle und undurchsichtige Gestrüpp des Seins vorzuwagen. In der Kultur- und Sozialanthropologie spricht man vom ontological turn, dem es allem voran um die Überwindung eines dualistischen Repräsentationalismus und dem Logozentrismus geht. Diese neue Perspektive hat auch starke Resonanz in der postkolonialen Theorie gefunden. Im Besondern sind hier relationale Ontologien als geeignet angesehen um die Pluralität der Welt ohne den postmodernen Konstruktivismus durch epistemische Systeme und die Realität ohne den hegemonialen Anspruch eines metaphysischen Realismus zu denken. Relativ zeitgleich kommt es in der kontinentalen Philosophie ebenfalls zu einer erneuten Hinwendung zum Realismus. Die heterogenen Positionen lassen sich unter dem 2007 erstmals geprägten Label des spekulativen Realismus subsumieren. Der spekulative Realismus und insbesondere die Object-Oriented Ontology (OOO) von Graham Harman, als eine Strömung davon, fand bisher keine Beachtung in der postkolonialen Debatte.

In meinem Vortrag werde ich einerseits die Problematiken relationaler Ontologien aufzeigen und ausgehend davon die OOO als fruchtbare Position im postkolonialen Diskurs einführen. Dafür gilt es abzuklären, wie extensiv der Objektbegriff verwendet wird, wie die OOO Objekte in einer vierfachen Struktur versteht und warum es problematisch ist, dass relationale Ontologien ein overmining in Hinblick auf Objekte betreiben. Zentral ist in der OOO ein Verständnis des realen Objektes als eines, dass immer entzogen bleibt aber dennoch einen Rahmen für gegenseitiges Verstehen bietet. Zum Abschluss werde ich die Möglichkeit aufzeigen mit dem hilfreichen Konzept des Hyperobjects über Problematiken wie die globale Erwärmung zu sprechen, ohne in eine eurozentrische One-World World zurück zu fallen und praktische Konsequenzen bezüglich der widerständigen Realität der Objekte andeuten.

Michael Feichtinger

Studienrichtungen: Philosophie, Chemie, Theater-, Film- und Medienwissenschaften

Forschungsinteressen: Spekulativer Realismus, Poststrukturalismus, Postkoloniale Theorie, Environmental Humanities

Johanna Frommelt

Künstlerischer Aktivismus in politischem Protest am Beispiel der Kampagne #FreeDeniz

In der Protestforschung kursiert die These, Proteste, welche mit künstlerischen Mitteln geführt würden bzw. mit denen sich Künstler_innen solidarisierten, könne eine besonders große Erfolgschance zugesprochen werden. In meiner Masterarbeit beabsichtigte ich deshalb zu untersuchen, weshalb sich Künstler_innen mit Protesten solidarisieren und inwiefern sie in künstlerischen Aktionen ein besonderes Potenzial für soziale Bewegungen sehen. Als Fallbeispiel wurde die im Februar 2017 gegründete Kampagne #FreeDeniz genutzt, die sich für die Freilassung des zu jenem Zeitpunkt in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, Türkei-Korrespondent der deutschen Tageszeitung Die Welt, einsetzte. Yücel hatte u.a. zu einer E-Mailaffäre des türkischen Energieministers recherchiert, aus welcher ein zunehmender Abbau demokratischer Strukturen der Türkei hervorging. Terrorpropaganda und Aufwiegelung der türkischen Bevölkerung wurden ihm deshalb vorgeworfen. Die Türkei gilt derzeit als das größte Journalist_innengefängnis weltweit, da Inhaftierungen als Strategie genutzt werden, um kritische Berichterstattung zu unterdrücken.

Die beobachteten künstlerischen Aktionen wurden einerseits mithilfe einer Theoretisierung von ‚Protest‘ von Philippe Hanna et al. (2016) und andererseits mit dem Konzept des ‚künstlerischen Aktivismus‘ von Stephen Duncumbe (2016) analysiert.

Für die Forschung wurden schriftliche Interviews via E-Mail mit Künstler_innen und Aktivist_innen geführt, die sich an ‚künstlerischen‘ Aktionen des Freundeskreises #FreeDeniz beteiligten oder selbst Aktionen in Solidarität mit Deniz Yücel durchführten. Darüber hinaus wurden Informationen über die Protestaktionen und das politische Geschehen auf verschiedenen Online-Plattformen und in Zeitungen eingeholt, digitalisierte und im Internet zirkulierende Protestaktionen des Freundeskreises #FreeDeniz wurden angesehen und Mahnwachen in Flörsheim am Main, Geburtsort Yücels, als Zeichen der eigenen Solidarität besucht.

Johanna Frommelt

Johanna Frommelt (johanna.frommelt@posteo.de) studierte Sozial- und Kulturanthropologie, Kunstgeschichte und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (BA) an der Freien Universität Berlin und anschließend Kultur- und Sozialanthropologie und Friedens- und Konfliktforschung (MA) an der Philipps-Universität Marburg. Ihre Forschungsinteressen sind Konfliktanthropologie, politische Anthropologie, anthropologische Widerstandsforschung, Menschenrechte, politischer Aktivismus, künstlerischer Aktivismus sowie Postkolonialismus- und Dekolonialisierung.

Johannes Korak

Dem eurozentrischen Kanon widersprechen:
Skizzen zu Kolonialismus, Soziologie und Eurozentrismus 

Émile Durkheim, Max Weber und Marcel Mauss begleiten Student*innen der Soziologie durch ihr Studium (vgl. Connell 2007: 4). Die kolonialen Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die die Arbeit dieser drei Figuren und die subsequente Institutionalisierung der Soziologie als eigenständige Disziplin im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ermöglichten, geraten in der Rezeption jedoch nicht in den Blick. Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der kolonialen Geschichte bleibt aus (vgl. Steinmetz 2013: 1) und nicht-europäische, nichtmännliche Sichtweisen werden aus dem soziologischen Kanon verdrängt Eurozentrische
Perspektiven fanden und finden im von kolonialen Macht- und Herrschaftsverhältnissen bedingten institutionellen Rahmen der Soziologie also die geeigneten Bedingungen für ihre Entfaltung vor. Wissenschaftskritische Zugänge – insbesondere feministische und postkoloniale – prüfen Elemente positivistischer Ansätze dahingehend, wie die Ausblendung der sozialen Positionierung von Forscher*innen und Philosoph*innen die Reproduktion (kolonialer und patriarchaler) Macht- und Herrschaftsverhältnisse stützen kann.

Ausgehend von dieser engen Verstrickung zwischen Soziologie und Kolonialismus werde ich in meiner Präsentation weitere, vorläufige Rückschlüsse aus der Anerkennung der kolonialen Geschichte der Soziologie für den Eurozentrismusbegriff vorstellen. Zur Diskussion möchte ich dabei stellen: Inwieweit eröffnet die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Soziologie den Blick auf eine materielle Dimension des Eurozentrismus?Können von dieser Kritik ausgehend neue Perspektiven auf soziale Phänomene geworfen werden? Wie kann dem kolonialen Kern der Soziologie widersprochen werden?

Johannes Korak 

Johannes Korak studiert im Master Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft. Zurzeit setzt er sich in seiner Masterarbeit aus feministisch-postkolonialer Position mit den wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse auseinander. Zu seinen Interessen zählen Wissenschaftstheorie und -kritik der Sozialwissenschaften, Entwicklungspolitik- und zusammenarbeit, Rassismus, Feministischpostkoloniale Theorie, Globale Gerechtigkeit und Internationale Beziehungen (IR). Erreichbar ist Johannes unter: jokorak@gmail.com

Ralf Gisinger

Widerstand gegenüber der Gegenwart

„Widerstand gegenüber der Gegenwart“ – Politisches (Minoritär-)Werden bei Deleuze/Guattari versucht das kritische (politische) Potential der Philosophie von Gilles Deleuze und Félix Guattari zu skizzieren. Der Vortragstitel leitet sich von folgendem programmatischen Zitat aus ihrem letzten gemeinsamen Werk Was ist Philosophie? ab: „Uns fehlt nicht Kommunikation, im Gegenteil: wir haben zu viel davon, uns fehlt Schöpferisches. Uns fehlt es an Widerstand gegenüber der Gegenwart.“ (Deleuze/Guattari 2000, 126, Herv. i.O.)
Da sich dieses an Nietzsche anknüpfende „Schöpferische“ in der Philosophie (nach Deleuze/Guattari) durch die Schaffung von Begriffen [concepts] bestimmt (vgl. Ebd., 10ff.), werde ich die politischen Implikationen dieser Konzepte untersuchen. Dabei ist als zentrale philosophische Kategorie insbesondere das Werden interessant – als Bedingung der Möglichkeit des Ereignisses und in Abgrenzung zu einem statischen Sein sowie zur Geschichte. Davon ausgehend kreieren Deleuze/Guattari unzählige Komposita, wobei für die politische Philosophie und den Rahmen dieses Vortrags insbesondere „Minoritär-Werden“ und „Revolutionär-Werden“ in den Fokus rücken sollen.
Daraus ergeben sich neben der Frage, wie das Politische bei Deleuze/Guattari zu bestimmen ist, insbesondere Erkenntnisse für Debatten um Identitätspolitik und Universalismus. Durch das Minoritär-Werden als eine Subversion von institutionalisierten Machtverhältnissen und -funktionen begegnet uns bei Deleuze/Guattari die gleichzeitige Zusammenführung von makro- und mikropolitischen Fragen und vor allem die Infragestellung eben dieser Grenze. Ihr Denken des Politischen erlaubt es, sowohl auf Mikro- als auch auf Makroebene Dispositive, Machteffekte und Subjektivierungsweisen (stets unter den Vorzeichen einer kritischen Kapitalismusanalyse) zu untersuchen.

Ralf Gisinger

Mailadresse: ralfgisinger@hotmail.com

Studien der Philosophie und Politikwissenschaft in Innsbruck, Master Philosophie in Wien. Abschluss im Oktober 2018 mit der Arbeit Philosophien der Pluralisierung. Begegnungen des Politischen zwischen Gilles Deleuze und Jean-Luc Nancy.

Forschungsschwerpunkte Sozialphilosophie, Politische Philosophie, Poststrukturalismus, Argumentationstheorie, zeitgenössische Philosophie.

Mariele Friesacher

Vegane holistische Weltbilder
Der vegane Lebensstil im Entstehungskontext zwischen Esoterik und konspirativer Weltanschauung

Mein Vortrag bewegt sich an der Schwelle zwischen Masterabschluss und konzeptionellen Überlegungen zu meiner Dissertation. Ich ging der Frage nach, wie vegan lebende Menschen in Österreich ihr politisches Selbstverständnis im Kontrast zur Wahrnehmung und Einordnung ihrer Identität im gesellschaftlichen Fremdbild beschreiben und welche Widersprüche sich innerhalb dieses Prozesses identifizieren lassen. Dazu wurden quantitative und qualitative Methoden kombiniert. Ich konnte einen guten Eindruck gewinnen wie das Feld beschaffen ist, aber weniger wie die holistischen Ansätze des Veganismus mit dem dringenden Wunsch nach gesellschaftlichen Veränderungen zusammenhängen. Für meine Masterarbeit wurden insgesamt sieben Personen mittels Interviewleitfaden befragt, drei Personen nahmen an einer Gruppendiskussion teil, eine teilnehmende Beobachtung bei einer politisch-tierethischen Veranstaltung wurde durchgeführt, sowie 204 Personen beantworteten einen Online-Kurzfragebogen zum Thema Veganismus und politische Identität. Folgende Schlussfolgerungen gehen nach der Auswertung meiner Forschungen über die ursprüngliche Frage hinaus: Die befragte Gruppe erkennt politische Aspekte im Veganismus, das Zugehörigkeitsgefühl zur veganen Community ist fluide, der Identitätsbildungsprozess verläuft in Auseinandersetzung mit der imaginären Community, die Produktion veganer Stereotype ist ein umstrittenes Feld im Veganismus, Holistische Aspekte sind in der veganen Community verankert, Konsum und Systemkritik spielen eine zentrale Rolle in der politischen Identität und intersektionales Denken im Rahmen eines veganen Lebensstils bleibt eine Herausforderung. Die vorliegenden Ergebnisse sollen weitere Forschungen in den Verknüpfungen zwischen Veganismus, holistische Weltbilder und Systemkritik anregen. In meiner Dissertation soll zudem auf die Entstehung konspirativer Weltbilder auf Basis esoterischer Zugänge zum eigenen veganen Lebensstil geachtet werden.

Mariele Friesacher BA BA MA

mariele.friesacher@gmx.at

Studienrichtungen:
MA Politikwissenschaft (abgeschlossen August 2018), Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien
Thematische Schwerpunkte: Soziale Bewegungen, Politische Theorie, Osteuropaforschung, Politische Kulturforschung

BA Philosophie (laufend), Institut für Philosophie, Universität Wien
Thematische Schwerpunkte: Ethik, feministische Philosophie

BA Kultur- und Sozialanthropologie (abgeschlossen Mai 2014), Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien
Thematische Schwerpunkte der Abschlussarbeiten: Lifestyle, Konsumanthropologie

BA Politikwissenschaft (abgeschlossen April 2016), Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien
Thematische Schwerpunkte: Soziale Bewegungen, Osteuropa, Demokratietheorie, Inklusion behinderter Menschen

Vorträge
• Summer Festival „Be the change“: Why there will be no revolution without men in pretty dresses
• Dezember 2015: Weiblich denken? – Eine philosophische Kritik an den populärwissenschaftlichen Erkenntnissen der Neurowissenschaften in der Geschlechterfrage, SWIP Tagung, JKU Linz

• November 2016: Im Zeitalter der kapitalistischen Aufklärung – Kants Ideen und ein neuer Aufbruch, SWIP Tagung, JKU Linz

Publikationen
Weiblich denken? – Eine philosophische Kritik an den populärwissenschaftlichen Erkenntnissen der Neurowissenschaften in der Geschlechterfrage. In: SWIP Sammelband: Lernen, Mensch zu sein. Beiträge des 2. Symposiums der SWIP Austria, Linz, JKU. (2017) LIT: Münster.

Mitgliedschaften
SWIP Austria (Society for Women in Philosophy)

Julian Ernst

Zwischen Hass und Gegenrede – 
Untersuchung medienkritischen Lernens Jugendlicher

Für Jugendliche in Deutschland ist YouTube das beliebteste Angebot online – für extremistische Akteur*innen bietet die Plattform ideale Möglichkeiten, ideologisch klar umrissene Sinnangebote zu präsentieren und Hass gegenüber bestimmten Gruppen und Personen niedrigschwellig einem breiten Publikum zu vermitteln. Zunehmend reagieren unterschiedliche Akteur*innen mittels audiovisueller Gegenbotschaften, in denen extremistische Thesen dekonstruiert oder etwa demokratische Gesellschaften beworben werden. Längst hat das Thema „Hass im Netz“ auch in pädagogischen Programmen, Materialien etc. Entsprechungen gefunden. Gemeinsam ist diesen pädagogischen Formaten, dass sie eine kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen von Hass im Netz anstreben, die ich in Anlehnung an den Medienkompetenzbegriff Dieter Baackes (1997) als medienkritisches Lernen bezeichne. Doch sowohl zur Medienkompetenz Jugendlicher im Allgemeinen als auch zur Facette der Medienkritik im Speziellen sind empirische Untersuchungen rares Gut.
An diese Ausgangssituation knüpft die im Entstehen begriffene Promotionsstudie an. Im Rahmen einer fokussiert-ethnographischen Studie (Knoblauch, 2001) wird die Frage bearbeitet, was und wie Jugendliche medienkritisch im Kontext von Hass im Netz lernen – und welche Implikationen sich für die praktische Präventionsarbeit von Pädagog*innen ergeben. Zu diesem Zwecke wurden während einer medienerzieherischen Präventionsmaßnahme über 80h Videomaterial von sozialen Interaktionen Jugendlicher aufgezeichnet. Eingesetzt wurden Körperkameras, mittels derer Einsichten in Kleingruppeninteraktionen Jugendlicher und ihrer Peers gewonnen werden konnten. Die Analyse orientiert sich an ethnomethodologischen Auswertungstechniken sowie Zugängen der Phänomenologie. Der Vortrag stellt Methodik der Untersuchung sowie deren theoretische Position näher dar.

Julian Ernst

Julian Ernst, Lehramtsstudium in Köln und Istanbul, ist Doktorand am Arbeitsbereich für Interkulturelle Bildungsforschung der Universität zu Köln und zur Zeit Gastwissenschaftler am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in Halle an der Saale. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind didaktische Fragen interkultureller Bildung, medienpädagogische Praxis- sowie Peer- und Jugendforschung.

 

Mailadresse/n: Julian.ernst@uni-koeln.de/julianernst76@gmail.com